Besucherlenkung und Naturschutz in Zeiten der Coronakrise: Ideen & Ansätze für DMOs und touristische Leistungsträger
Nicht erst seit der Corona-Pandemie gibt es Regionen im Land, die deutlich stärker frequentiert werden als andere. Um die Natur zu schützen ist die Besucherlenkung schon immer ein zentraler Aspekt des nachhaltigen Tourismus. Doch bedingt durch das veränderte Reiseverhalten – es wird vermehrt in Deutschland oder in der nahegelegenen Umgebung verreist – rückt das Thema noch stärker in den Fokus. Aufgrund geschlossener Kultur- und Freizeiteinrichtungen zieht es die Menschen ins Freie, die rheinland-pfälzischen Wald- und Naturlandschaften werden zum Zufluchtsort. Dabei stellt sich die Herausforderung, dass ohnehin schon stark frequentierte Destinationen häufig noch mehr Gäste verzeichnen, während sogenannte „second regions“ deutlich weniger abbekommen. Dazu kommen noch die Einheimischen, die ebenfalls auf den Wander-und Radwegen vor der eigenen Haustür unterwegs sind, um Ruhe und Erholung zu finden.
Stand die Besucherlenkung in der Vergangenheit vor allem aufgrund des Naturschutzes im Vordergrund, kommt mit den aktuell geltenden Abstands- und Hygieneregeln ein weiterer Aspekt dazu. Um das soziale Miteinander zu schützen, sind diese Regeln unumgänglich und haben oberste Priorität. Gleichzeitig müssen auch die Naturlandschaften mit dem oft hohen Besucheransturm klar kommen und bestmöglich geschützt werden. Die Herausforderungen für die DMOs und touristischen Leistungsträger im Land sind folglich sehr komplex. Die folgenden Punkte zeigen erste Ansätze und Ideen auf, um Besucherströme bestmöglich zu lenken.
– Ist-Analyse erstellen: Wo wird es zu welchen Zeiten eng? Welche Wege sind stärker frequentiert als andere? Wo gibt es nicht genügend Parkmöglichkeiten?
– Second regions first! In der Kommunikation vor allem auf unbekanntere Destinationen setzen, z. B. in der Pressearbeit, auf Social Media Kanälen oder in virtuellen Angeboten. Anstatt im Frühjahr mit tollen Fotos der Mandelblüte in der Pfalz zu werben, können beispielsweise Orte, die etwas abseits liegen, in den Fokus gerückt werden.
– Anreise mit dem ÖPNV: aktuelle Fahrzeiten kommunizieren, z. B. auf der Website und in den Social Media Beiträgen, auf Hygienemaßnahmen hinweisen
– Anreise mit dem Fahrrad: auf Anreisemöglichkeiten für Radfahrer abseits der Hauptverkehrsstraßen hinweisen, Parkmöglichkeiten für Fahrräder einrichten, E-Bike-Ladestationen ausschildern
– Infrastruktur vor Ort verbessern: Parkplätze frühzeitig ausschildern um wildes Parken und somit Beschädigung von Naturlandschaften zu vermeiden, Kapazitäten, z. B. bei großen Wanderparkplätzen, entzerren, Parkleitsystem überprüfen
– Beschilderung der Wege vor Ort überprüfen: Wo gibt es Engstellen, die durch Alternativrouten umgangen werden können?
– Digitale/mobile Beschilderungen einsetzen: je nach Auslastung weisen diese schon frühzeitig auf Kapazitätsgrenzen hin
– Öffnungszeiten ausweiten und wenn möglich mit Spezialtarifen, z. B. in den Morgen- oder Abendstunden werben
– Informieren statt verbieten: offen kommunizieren, um das Wissen der Gäste zu erhöhen, für das Thema Naturschutz sensibilisieren
– Regelmäßiges Monitoring durchführen: Bringen die Maßnahmen die gewünschten Erfolge? Wo muss ggf. nachgebessert werden?
– Zusammen ist man stärker: nicht nur lokal agieren, sondern regional ansetzen
– Wenn es gar nicht anders geht: Ruhezonen einrichten oder bestimmte Bereiche sperren, wenn der Andrang zu groß wird.
Nachhaltiger Tourismus: welchen Einfluss hat die Coronakrise auf das Nachfrageverhalten deutscher und ausländischer Gäste?
Bereits vor der Coronakrise wurden immer mehr Stimmen laut, die einen nachhaltigeren Tourismus forderten, aber besonders im Laufe der letzten Monate rückte das Thema immer mehr in den Fokus. Als eine der am härtesten betroffenen Branchen weltweit wird kontrovers diskutiert, welche Auswirkungen die Pandemie hat und noch haben wird. Wird es einen radikalen Wandel geben oder geht es doch eher weiter wie bisher?
Die Pandemie stellt die gesamte Branche vor große Herausforderungen. Es geht um die Sicherung der Existenz, aber auch um die Frage, wie man sich für die Zukunft nachhaltig aufstellen muss, um zu überleben. Für einen langfristigen Erfolg müssen die wirtschaftliche, ökologische und soziale Komponente als Einheit betrachtet werden. Eine von ZENAT (Zentrum für Nachhaltigen Tourismus an der HNE Eberswalde), TourCert sowie Futouris e.V. durchgeführte Befragung von 607 Tourismusunternehmen in Österreich und Deutschland zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit auch nach der Coronakrise eine wichtige Rolle spielen wird. Unter den befragten DMOs und Tourismusverbänden ist der Großteil (89,1 %) der Meinung, dass die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten coronabedingt steigen wird und sieht hier Erfolgsaussichten (Quelle: Die Corona-Krise und ihre Implikationen für die nachhaltige Entwicklung des Tourismus, 2020, S. 10). Laut der Studie „Reisen in Zeiten von Corona“ des Bayerischen Zentrums für Tourismus sind immerhin 32 % der Befragten der Meinung, dass die Coronakrise das Reiseverhalten in Richtung Nachhaltigkeit verändern wird (Quelle: Reisen in Zeiten von Corona, Studie des Bayerischen Zemtrums für Tourismus e. V., 2020, S. 33).
Ein Blick in die Auslandsmärkte
Schweiz: In einer Umfrage, die im September vom Schweizerischen Reiseverband durchgeführt wurde, gibt jede zweite Person an, vermehrt im eigenen Land oder im nahen Ausland verreisen zu wollen (Quelle: Buchungs- und Reiseverhalten der Schweizer Bevölkerung, 2020, Allianz Partner, S. 16). Laut Kai Uwe Leonhardt, Director der Destinationsmarketingagentur tourmark, die zum Reiseveranstalter railtour gehört, hat das Thema Nachhaltigkeit bereits vor Corona an Interesse gewonnen und wurde durch die Pandemie weiter verstärkt. „Wir machen die Erfahrung, dass immer mehr Menschen, vor allem auch jüngere Zielgruppen, mit dem Zug verreisen wollen, um klimaschonender unterwegs zu sein. Die Bahnen SBB und DB tragen diesem Trend Rechnung und bauen ihr Angebot auf der Schiene in beide Richtungen deutlich aus. Auch das Nachtzugangebot soll ab 2021 vollkommen neu aufgegleist werden. Außerdem interessieren sich immer mehr Kunden dafür, ob die gebuchten Hotels bestimmten Kriterien der Nachhaltigkeit entsprechen“, so Leonhardt.
Österreich: „Österreichische Gäste befinden sich im Zwiespalt“, bemerkt Bettina Haas, Geschäftsführerin der Destinationsmarketingagentur HMC mit Standorten in Wien, Innsbruck und Berlin. „Während mehr als die Hälfte der Österreicher im Alltag ein umweltbewusstes und nachhaltiges Handeln zeigt, verringert sich diese Zahl stark, wenn es um das eigene Reiseverhalten geht. Lediglich ein knappes Drittel sieht den Individual- und Reiseverkehr als zentrales Problem im Zusammenhang mit Umweltschutz. Nicht einmal 20 Prozent geben an, sehr auf eine umweltfreundliche Anreise oder ein umweltfreundliches Hotel zu achten. Gleichzeitig ist nicht jeder bereit oder in der Lage, mehr Budget für nachhaltiges Reisen zu investieren. Diese Zahlen stammen aus einer repräsentativen Studie des Ruefa-Reisekompasses aus Januar 2020. Es ist davon auszugehen, dass sich die Österreicher nach dem coronabedingt starken Wirtschaftseinbruch 2020 und 2021 noch mehr zurückhalten werden, wenn es um erhöhte Reisekosten zugunsten eines nachhaltigen Reiseverhaltens geht.“
Niederlande: Laut einer von der niederländischen ABN AMRO Bank veröffentlichten Studie haben sich noch nie so viele Niederländer für das Thema Nachhaltigkeit und Klima interessiert wie dieses Jahr. Die Hälfte der Befragten will das eigene Reiseverhalten dementsprechend anpassen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass ein Großteil (7 von 10 Niederländern) sich fragt, ob die durch die Coronakrise ausgelösten Effekte nachhaltig beibehalten werden können (Quelle: ABN AMRO, Klimaatverandering heeft meer urgentie gekregen door corona, 2020, S. 7) .
Frankreich: In Frankreich wurde laut der Vereinigung ATES (Association pour le Tourisme Equitable et Solidaire) bei den Franzosen, die ins Ausland reisen bereits 2019 ein Anstieg von 15 % wahrgenommen. Ein ähnliches Szenario wurde vor Ausbruch der Coronakrise für 2020 prognostiziert. Ausgelöst durch die Pandemie will ein Großteil noch mehr im eigenen Land verreisen als vorher (Quelle:https://www.goethe.de/ins/fr/de/kul/dos/nhk/21889032.html). Laut zu Beginn des Jahres veröffentlichten Umfrage der Plattform VoyagesPirates.fr gaben 76 % an, ihre Reisegewohnheiten in Richtung nachhaltiges Reisen ändern zu wollen und beispielsweise mit dem Zug zu reisen, wenn die Tickets billiger als entsprechende Flugtickets wären (Quelle: https://www.cbnews.fr/etudes/image-voyages-ecotourisme-progresse-chez-francais-48952).